Montag, 27. September 2010

Der Richter und der Held.

Vor dreiundzwanzig Stunden und vierzehn Minuten wurde ich des Todes meiner Frau gewahr. Ich kann nicht angeben, wann derselbe tatsächlich eintrat, mich des wichtigsten Teiles meiner Welteinrichtung beraubte und schließlich das kleine, nun aber für einen einzelnen Mann viel zu große Häuschen in der Bergstraße verließ. Ich kann nicht einmal abschätzen, ob es Stunden oder Minuten waren, die vergingen ehe ich des Todes meiner Frau gewahr wurde.

Es muss jedoch, denke ich mir, am Dienstag geschehen sein, da ich meinen guten Anzug trage, denn ich nur trage, wenn ich einen Prozess führe, der von solcher Wichtigkeit sein könnte, dass ich danach von diversen Interessenten oder Beteiligten oder Kollegen konsultiert werde. Da ich an dem Dienstag dieser Woche einen solchen Termin hatte, und es nun Mittwoch ist, ungefähr die Zeit, zu der ich gestern des Todes meiner Frau gewahr wurde, und es ist Abend, und ich trage ja eben meinen guten Anzug. Ich kann allerdings tatsächlich nicht wissen, wie lange meine Frau, ehe ich zuhause eintraf schon tot war, und außerdem auch nicht, warum ich sie sie so hübsch in den Ohrensessel gesunken gefunden hatte. Sie war die schönste Tote, die ich jemals gesehen hatte. Möglicherweise liegt dies daran, dass die Fotografien der Toten, die ich im Gericht zu sehen bekomme, selten von solcher fotografischer Eleganz sind, dass sie einen wirklichen Eindruck der eigenen Augen ersetzen könnten.

All dies erkläre ich dem jungen Helden, der in seinem hübschen Trenchcoat Fragen stellt. Wir sind in meinem Büro und ich finde den Trenchcoat ziemlich aufgesetzt, da er so jung ist und der Mantel ihn zum Helden machen soll. Dabei ist das einzig Heldenhafte an ihm sein Lächeln schön mit Mittelscheitel, die Haare wiederum verwegen im Seitenscheitel. Ich denke mir, dass dieses Lächeln mit Mittelscheitel, also mit einer minimalen Zahnlücke in der Mitte, vor allem daher rührt, dass er endlich wegen seiner ungeheuer heldenhaften Art nicht mehr in den schmuddeligen Polizeiuniformen herum hocken muss, sondern nun einen beigen Trenchcoat tragen darf. Ich finde die Situation etwas grotesk und wünsche mir einen seriösen Menschen mittleren Alters, der meine Ausführungen über Ehe und die Tatsache, dass der Tot mich wirklich von meiner Frau schied, was ja in den wenigsten Fällen noch der Fall ist, auch verstehen kann. Aber den bekomme ich nicht, sondern den Helden stattdessen.

Wegen der grotesken Atmosphäre, die mein Büro verschlungen hat werde ich sehr nüchtern und überhaupt nicht mehr sentimental. Der Held merkt das. Seine Lippen schieben sich wie rote Vorhänge auseinander. Wie eine Gegenbewegung verengen sich jedoch die Augenbrauen. „Haben Sie Ihre Frau denn nicht geliebt?“ Ich frage ihn, wie er auf diese absurde Vermutung komme, ob er denn überhaupt glaube jemals etwas so großartiges wie Liebe erleben zu können. Es gehöre mehr dazu als nur charmantes Geplenkel, man gebe sich ja selbst auf zu einem Teil, man hat ja etwas so Wichtiges und Wunderschönes gefunden, dass man vor Bewunderung jeden Tag sprachlos sein müsse, und ich würde nicht glauben, dass ein junger Spund wie er je ein solches Gefühl erleben könne. Dies sage ich ihm und er ist leider kein bisschen beeindruckt. Da ich Richter bin sollte man von mir beeindruckt sein, vor allem, wenn ich so aus mir gerate. Die Sonne war fast vom Horizont verschluckt. Nur ein mattes rosa – graues Licht drang vorbei an dunkelgrünen Zimmerpflanzen. Draußen würde die Luft herrlich sein. „Ich komme darauf, weil Sie so steif sind. Immer noch meine ich. Immer noch so korrekt. Irgendwie prätentiös. Nach allem was geschehen ist, meine ich.“ Seine Stimme ist mir sehr, sehr unangenehm. Er ist stolz über das Fremdwort. Ich erhebe mich ganz leicht aus meinen schwarzen, ledernen Gemächern meines Schreibtischsessels und sage dem Helden, er habe eine ganz arrogante Art mich mein enormes inneres Leiden auszufragen. Was hätte er schon für eine Ahnung. Wenn etwas emotionale Wallung in mir hervorrufe, dann ja wohl das Thema Tod. Tod! Tod als Ende aller Dinge. Nicht könne schlimmer für mich sein als das Versterben seiner geliebten Frau! Und es liege ja durchaus nicht in seinem Aufgabenbereich über meine Bewältigungsstrategie zu urteilen. Das Urteil sei wenn dann mir, dem Richter unter uns beiden, vergönnt. Und ich würde das Morden sowie den Tod, sowie auch das Sterben auf die selbe strikte Weise verurteilen. Der Tod stelle eine Grenze dar, die nun einmal entweder schwarz oder weiß sei, meistens ja allerdings schwarz, und dann aber auch pechrabenschwarz. Ich habe mich währenddessen doch vollkommen von meinem Sessel erhoben. Der Held sitzt klein aber verschmitzt grinsend vor mir. Die Zimmerpflanzen auf meiner Fensterbank werden immer dunkelgrüner. Die Luft draußen muss sehr, sehr lau und schön sein in diesem Moment. Ich sehne mich nach so einer Milde.

„Wo waren Sie am Dienstagmorgen dieser Woche, beziehungsweise an dem vorausgegangenen Montagnachmittag?“

Der Satz schnürt mir die Luft ab. Ich merke wie ich zu schreien beginne: „Haben Sie denn überhaupt kein bisschen Anstand im Leib! Was wissen Sie schon! Was weißt du schon du Arschloch! Ich hab sie so geliebt! Und jetzt ist sie tot! Tot! Und du jetzt fragst du mich ob! Fragst mich ob!“ Meine Hand wandert zur Zimmerpflanze, die fast schwarz geworden ist, wegen der sinkenden Sonne. „Es gibt auf der Welt nichts Schlimmeres als den Tod! Nichts! Nichts Schlimmeres!“ Und der braunrote Topf der Zimmerpflanze sinkt wunderschön über dem Heldenkopf zusammen. Ganz wunderschön über dem Seitenscheitel. Sinkt wunderschön auf den Trenchcoat, sinkt, sinkt. So wunderschön zusammen.

Donnerstag, 2. September 2010

Pracht

Heile mit mir
bei diesem Anblick solcher Prachtbehauptung
des sachten, warmen Blickes dieser Blüten,
der ergebenen und auf zum Himmel stechend
starren Krallenfüße, des goldnen Duftes,
des sandiggrünen Bauchfells, und
des hellen Zikadengesanges und dem
Schnurren der schwarzen Erde -
heile mit diesem Anblick,
mit mir,
alles.alles.