Freitag, 30. Juli 2010

Epische Ekphrasis



Um zehn abends wache ich auf. Meine Sonne ist der Mond. Wenn der Mond aufzugehen beginnt, beginnt mein Tag. Ich stehe auf, öffne die Jalousien vor den Fenstern. Die Nacht fällt in den Raum. Nachts lese ich. Ich versuche im Dunkeln die Buchstaben zu erkennen, einen nach dem anderen. Wenn ich dabei nicht genau hinschaue, entstehen Worte oder Sätze, die mir in ihrer Absurdität das Treiben am Tag ersetzen. Ich habe alle Bilder, die andere sehen können, auch in der Dunkelheit. Was ich sonst brauche in meinem Nachtleben bist du. Du verstehst nicht, warum wir in der Nacht leben, aber du tust es mit mir. Wenn ich lese, gehst du draußen umher. Unser Haus steht auf einem Berg. Man erkennt von dort die weite Ebene, den Fluss, der sich weit hinzieht bis zu den Bergen am Horizont. In Blau ist der Ausblick wohl am schönsten. Blau, sagst du, bedeutet Vollmond, bedeutet lange Spaziergänge. Schwarz, sagst du, bedeutet Neumond, bedeutet Zeit für uns beide. Wie viel Zeit wir schon hatten.

So ist das. Heute, um zehn Uhr abends, wache ich auf. Du bist schon aufgestanden. Ich habe kaum gemerkt, wie du aus dem Bett gerollt bist. Ich gehe über die alte Treppe zu dir hinab. Ich höre, dass Knarren, du musst in der Küche sein. Dorthin begebe ich mich. Du drehst dich um. Ich liebe die Wärme, die von dir ausgeht. Dein Haar fühlt sich heute sehr lang an, als meine Hand darin versinkt. Wir reden viel. Du hast Kaffee gekocht, ich koche Eier. Wir essen draußen, weil es warm ist. Wir reden viel. Du verstehst nicht, warum wir in der Nacht leben. Ich finde immer falsche Worte. Ist es die Ruhe, fragst du. Ich sage, auch. Erklär es mir, sagst du, ist es das Licht. Es geht nicht um das Licht. Wir reden viel. Du fragst immer weiter. Früher hast du nie gefragt. Ich sage: Hör auf. Du verstehst nicht. Ich sage: Ich kann es nicht. Du verstehst nicht. Ich merke ein Kribbeln in den Oberschenkeln. Wie das Geräusch beim Eierkochen, wenn das Ei am Boden des Topfes immer wieder aufschlägt. Du verstehst nicht. Du schreist: Es geht dir nicht um Ruhe! Nicht um Licht! Nicht um Menschen! Worum? Worum. Ich merke wie das Kribbeln aufsteigt, als koche ich Eier im Hals. Worum? Sag es mir! Worum? Dann ist das Ei fertig und wird zu Weinen. Ich weine weine. Ich schreie auch: Ich kann dich nur so lieben. Du schreist: Ich verstehe das nicht! Du weinst auch. Ich sage: Versteh es einfach. Du hältst inne. Du flüsterst: Ich kann das so nicht. Ich erschrecke. Du willst weg? Zurück in den Tag? Du willst weg? Von mir? Manche Momente sind Klippentode. Ich zerschelle innen. So liege ich. Am Boden. Dann schreist du wieder. Du machst alle Ruhe kaputt. Du gehst ins Haus. Du machst das Licht an. Ich kneife die Augen zusammen. Du kommst wieder. Du schreist noch. Du drehst mein Gesicht zu dir hin. Wir vergessen die Zeit. Ich sage: Ich will dich nicht sehen müssen. Du verstehst nicht. Wenn du gehst, werde ich auch vergehen.

Bald wird der Himmel zu hell. In mir das Geräusch als würde in mit ein gigantisches Ei auf den Boden knallen. Wenn man nur im Kopf sieht, wird alles absurder. Aber echter. Wir weinen beide. Noch nie hast du geweint. Es wird Tag. Wir können beide nicht ertragen uns zu verlassen. Wir weinen bis wir einschlafen. Es ist der erste Tag, an dem wir uns dabei nicht berühren. Als es dunkel wird wachen wir auf. Das Licht ist noch an. Das Kochen in uns hat aufgehört, aber das Ei ist noch irgendwo da. Ich sage leise: Ich will blind sein vor Liebe. Du verstehst.

Mit dem Mond bist auch du mir wieder aufgegangen. Ich spüre, dass uns was umfängt.





Ich sehe dich

Das Winden, Tanzen deiner Haaressträhnen
das Tropfen, Blauen deines Augenblaus
das Katzenwerden deiner Augenbrauen
das Rundgesicht
die Lippenlust
Ich sehe dich. Und weitaus noch genauer.

Dein Innen blüht und grünt
und strahlt vor Gold und oft
bist du was man ein Meer nennt oder Himmel.
Ich sehe dich und ja, ich seh dich immer.

Und dürstet es mein Aug nach deinem Lachen,
mein Herz nach deinem Herz,
den Geist nach deinem Arm,
Ich sehe dich. Ich sehe dich ja immer.
Und so gesehen bist du immer da.